Jasha Sütterlin fuhr 2017 eine sehr erfolgreiche Saison. Höhepunkt war neben dem zweiten Platz im Einzelzeitfahren der Deutschen Meisterschaften in Chemnitz für ihn die Teilnahme bei der Tour de France. In diesem Jahr hat es leider nicht für eine Nominierung zur Tour gereicht, obwohl er bis zum Schluss im vorläufigen Touraufgebot stand. Lest im Interview, wie er mit dieser Situation im Augenblick umgeht, wie er seinen bisherigen Saisonverlauf und seine Chancen im Zeitfahren bei der Deutschen Meisterschaft dieses Wochenende einschätzt.
Larasch: Hallo Jasha, vielen lieben Dank, dass du dir Zeit nimmst für das Telefoninterview: Großes Ziel in diesem Jahr war sicher die erneute Qualifikation für die Tour de France. Nun ist seit gestern klar, dass du nicht dabei bist, wie geht es dir im Augenblick?
Jasha: Klar, erneut im Teamaufgebot zu stehen wäre absolut fantastisch gewesen. Vor allem, weil wir im letzten Jahr nach dem Sturz von Alejandro Valverde beim Prolog enorm viel Pech hatten und dadurch das Team gleich zu Beginn einen herben Rückschlag einstecken musste. Was mein Frühjahr betrifft, da hast du sicher recht. Ein Grund warum es nicht perfekt lief, sind die vielen Renntage, die ich für’s Team absolvierte, weil immer mal ein Teammitglied krank wurde und ich für dieses einsprang. Bei den Klassikern konnte ich zwar auf eigene Rechnung fahren, hier war ich aber einfach zu müde, um wirklich etwas auszurichten. Im April und Mai konnte ich mich dann verstärkt auf das Training fokussieren und beim Criterium du Dauphine das Team beim Mannschaftszeitfahren stark unterstützen, indem ich viel Führungsarbeit leistete. Dass es trotzdem nicht gereicht hat, ist natürlich enorm schade.
Am Ende bist du wahrscheinlich der neuen Regel, dass nur 8 Fahrer im Aufgebot stehen dürfen zum Opfer gefallen. Was hältst du von dieser neuen Regel?
Meiner Meinung nach braucht es keine Reduzierung der Fahreranzahl in den Teams. Statt 198 Fahrer werden somit „nur“ 176 Profis bei den 3-wöchigen Landesrundfahrten starten. Ob sich mit dieser Verkleinerung der Teilnehmer auch das Unfallrisiko reduzuiert, mag ich bezweifeln. Generell ist es für die Teams schwieriger eine solche Rundfahrt mit einem Fahrer weniger zu bestreiten und dabei die Kontrolle, aber auch die Strategie für ein klares Ziel durchzustehen. Der Fokus wird einfältiger und damit insgesamt hektischer. Weiterhin gibt es weniger Plätze im Team und damit tendenziell weniger Berufsradfahrer. Ich bin gespannt, ober wir bei der Tour schon ein paar Effekte dieser Neuerung direkt erleben dürfen.
Weisst du schon, wie nun deine Saisonplanung weiter geht? Werden wir dich bei der Deutschlandtour sehen?
Das ist im Augenblick alles noch recht frisch und unklar. Eventuell starte ich bei der Deutschlandtour und anschließend bei der Vuelta. Es kann aber auch sein, dass ich die BinckBank Tour im August, anschließend die Cyclassics in Hamburg und wieder die Eintagesrennen in Kanada bestreite. Auch die WM ist sicher ein Thema, hängt aber von der Form im Zeitfahren ab.
Du hast die vergangene Woche in Livigno im Höhentrainingslager verbracht. Hast du dich speziell auf die anstehende DM vorbereitet?
Der Plan war mich erst auf die Deutschen Meisterschaften und schließlich auf die Tour de France 2018 vorzubereiten. Dementsprechend ist auch das Training gestaltet gewesen. Hauptziel ist es nach wie vor, am Freitag ein sehr gutes Zeitfahren zu absolvieren. Wie es danach weitergeht, werde ich in den nächsten Tagen erfahren.
Wie schätzt du am Freitag deine Chancen im Zeitfahren ein und wirst du auch beim Straßenrennen am Start stehen?
Es wird sicher sehr spannend werden. Im letzten Jahr fehlten mir nur 12 Sekunden zu Tony Martin auf Platz 1. Diesen Rückstand möchte ich natürlich in diesem Jahr komplett reduzieren und um den Sieg kämpfen. Aber neben Tony ist die Konkurrenz mit Nils Politt, Max Schachmann oder Nikias Arndt enorm stark. Das Straßenrennen werde ich in diesem Jahr auslassen.
Wie bereits erwähnt bist du gerade im Trainingslager. Auf deinem Instagram-Profil sieht man in den letzten Tagen immer mal ein paar Bilder mit Marcus Burghardt und Ian Boswell von Katusha. Wie kam es dazu?
Um mich für die nächsten Rennen perfekt vorzubereiten, wählte ich Livigno als Ort für mein Höhentrainingslager. Vom Team gab es hierzu die Freigabe und für mich ist es perfekt, weil Livigno mit 1800 Meter über Null einen guten Höheneffekt bietet. Zufällig hatten Marcus und Ian den gleichen Plan, weshalb wir hin und wieder gemeinsam unterwegs gewesen sind. Trotzdem trainiert jeder akribisch nach seinem Plan und Wattbereichen. Es bleibt eher beim gemeinsamen Einfahren oder an einem Ruhetag eine Runde zusammen zu absolvieren.
Wer schreibt für dich in solchen Phasen die Trainingspläne und warum trainierst du abseits des Teams alleine?
Das wirkt vielleicht für außenstehende etwas komisch, ist aber am Ende recht praktisch und sinnvoll. Hintergrund ist das Livigno nicht zu weit von der Heimat entfernt liegt und hier ebenso tolle Bedingungen existieren. Viele meiner Teammitglieder bereiten sich in Andorra oder in der Sierra Nevada vor, was für Spanier natürlich logisch ist, für mich aber eine weitere Anreise bedeuten würde. Zudem hatte ich aus dem letzten Jahr die Erkenntnis gewonnen, dass die extremere Höhe (Andorra und Sierra Nevada liegen deutlich über 2000 Meter über NN.) für mich nicht die ideale Lösung bietet. Am Ende ist das Training durch das Team sehr individuell abgestimmt, da Körpergewicht und Wattbereiche bei jedem unterschiedlich sind. Wenn ich z.B. mit Nairo Bergtraining absolvieren würde, müsste er an jedem Pass ca. 30 Minuten auf mich warten. (lacht)
Wen siehst du bei der Tour als Topfavoriten und wer ist aus deiner Sicht aus eurem Team der Top – Kandidat?
Wen man meiner Meinung nach, neben den üblichen Namen wie Froome, Dumoulin oder Bardet, auf der Rechnung haben sollte, ist Vicenzo Nibali, der sich bei den letzten Rennen noch etwas zurückhielt, dem ich aber einiges zutraue. Aus unserem Team hat Nairo Quintana gezeigt, dass er bereit ist für die Tour. Mit Mikel Landa und Alejandro Valverde wird er zwei Top-Bergfahrer an seiner Seite haben. Ich bin sogar der Meinung, dass Movistar speziell für die erste Tourwoche das stärkste Team ist. Ich drücke in jedem Fall allen die Daumen!
Kommen wir noch zum letzten Thema: Chris Froome. Sollte er bei der Tour dabei sein oder nicht?
Für mich ist der Fall ganz klar. Er wurde positiv getestet und damit wäre jeder andere Fahrer gesperrt worden und auch mehr oder weniger weg vom Fenster. Das sehen alle so, die ich kenne aus dem Fahrerumfeld. Die UCI verhält sich hier einfach lächerlich. Auch wenn Bernhardt Hinault nun zum Boykott aufruft, so können wir Fahrer da recht wenig machen. Wir werden einfach sehen was passiert, aber so wie ich das Thema einschätze, wird Froome, wie schon beim Giro, bei der Tour starten.
Lieber Jasha, wir wünschen dir viel Erfolg für die restliche Saison.
Alle Beiträge zur DM 2017 in Chemnitz findet ihr hier:
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