Hendrik Pfeiffer hat in seiner Karriere als Profiläufer schon einige Aufs und Abs erlebt: Rekorde, Qualifikationen, schwere Verletzungen, starke Comebacks. Uns hat interessiert, wie seine Erfahrungen ihm in der aktuellen Situation nutzen, was seinen Alltag zurzeit bestimmt und wollten mit ihm gemeinsam noch einmal auf Schlüsselmomente seiner bisherigen Laufbahn zurückblicken.
Hendrik, eigentlich wärst Du jetzt in der spezifischen Marathon-Vorbereitung für Olympia. Aufgrund von Corona verschiebt sich alles nun um mindestens 1 Jahr. Worauf legst du aktuell Deinen Schwerpunkt und wie sieht Dein Trainingsalltag als Profi-Läufer ohne Wettkämpfe aus?
Mein momentanes Training ist vor allem darauf ausgerichtet, einen guten Fitness-Zustand zu erhalten. Ich bezeichne das gerne als „aktiven Standby-Modus“, in dem ich mich gerade befinde. Im Grunde trainiere ich täglich, aber eben ohne die ganz hohen Intensitäten und versuche so ein gutes Ausgangslevel zu halten, das es mir ermöglicht, zu gegebener Zeit wieder schnell eine Wettkampfform aufzubauen, ohne komplett bei null anzufangen.
Wie machst Du das konkret: Einen Leistungszustand konservieren. Training ist doch normalerweise auf ein bestimmtes Ziel hin abgestimmt und geplant.
Das ist momentan tatsächlich der größte Unterschied: Es gibt kein fest definiertes Ziel, auf das ich hintrainiere.
Nach unserem frühzeitig beendeten Trainingslager in Kenia war das Training bei mir zunächst ohne feste Struktur und bestand größtenteils aus Dauerläufen. Mittlerweile bin ich und auch die anderen Läufer in meiner Trainingsgruppe in Wattenscheid auf der nächsten Stufe. Das heißt, ich absolviere zwischen 120km und 140km in der Woche mit auch wieder festen Tempo-Trainings. Im Vergleich zu einer spezifischen Wettkampfvorbereitung sind die Tempoläufe etwas „lockerer“ und eher ein Standard-Programm, um zwar verschiedene Reize zu setzen, aber eben nicht im absoluten High-End-Bereich.
Es gibt ja durchaus Athlet/innen, die voll weiter trainieren und statt offiziellen Rennen eigene Trainingswettkämpfe laufen. Alina Reh hat zum Beispiel einen richtig schnellen 5er auf der Bahn absolviert oder Erik Hille ist inoffizielle Marathon-Bestzeit im Training gelaufen. War das für Dich auch eine Überlegung?
Natürlich ist das eine Möglichkeit und finde ich auch völlig legitim. Ich persönlich habe das aber nie ernsthaft in Erwägung gezogen, sondern will meinen Trainingsrhythmus beibehalten. Ich bin ein Wettkampf-Typ und will mich direkt mit der Konkurrenz messen. Bei Trainingswettkämpfen würde ich mich, egal wie das Resultat aussähe, wahrscheinlich ärgern: Wenn es schlecht liefe, wäre ich enttäuscht und wenn ich eine Top-Leistung abliefern würde, würde ich mich ärgern, dass es kein offizieller Wettkampf ist.
Abgesehen vom Trainingsalltag: Hat sich auch Dein ziviler Alltag verändert?
Ja. Ich merke schon, dass die Motivation im Training nicht vergleichbar ist mit einer Situation, wenn ich ein konkretes Ziel vor Augen habe. Da erlaube ich es mir schon ab und zu mal, eine Trainingseinheit ausfallen zu lassen. Diese Freiheit, neben dem Lauftraining auch andere Projekte zu fokussieren und voranzutreiben und etwas mehr Flexibilität im Alltag zu haben, genieße ich durchaus: Ich konnte in den letzten Wochen in meiner Wohnung einiges werkeln und auch im Job bin ich gerade deutlich mehr eingebunden als es unter normalen Umständen der Fall wäre.
Apropos Job: Welche Aufgaben hast Du bei Deinem Arbeitgeber und ist der in der Sportpolitik immer so schön betitelte Weg der „dualen Karriere“ im Spitzensport für Dich mit dem sehr zeitintensivem Marathontraining überhaupt realisierbar?
In meinem Fall muss man da etwas differenzieren: Mein Arbeitgeber Klöckner unterstützt mich hervorragend und ermöglicht mir mit der Kooperation, trotz Profi-Sport auch Erfahrungen und Kontakte im Berufsleben zu sammeln. Ganz konkret bin ich bei Klöckner für die interne Kommunikation mit zuständig. Das heißt, ich arbeite vorwiegend redaktionell für interne Unternehmensnachrichten an die Mitarbeiter, erstelle Texte und Pressemitteilungen und betreue auch die Social-Media Präsenz.
Mein Studium hingegen liegt zurzeit auf Eis: In meinem Journalismus-Studiengang muss das Pflicht-Volontariat während der Studienzeit absolviert werden: 1 Jahr Vollzeit-Arbeit in einer klassischen Redaktion. Da ich mich dafür entschieden habe, meine sportliche Karriere zu priorisieren, ist das schlicht nicht realistisch, sodass ich mein Studium noch nicht abschließen konnte.
Du hast vorhin beschrieben, dass Du ein Wettkampf-Typ bist und entsprechend Ziele brauchst, um voll motiviert zu sein. Welche Bedeutung haben Deine persönlichen Erinnerungen an bisherige Erfolge (Deutscher U23-Rekord im HM, Olympia-Quali Marathon) nicht nur jetzt, sondern auch im knallharten Trainingsalltag?
Die Erinnerungen an diese Momente helfen sehr. Vor allem in schwierigen Zeiten ziehe ich daraus enorm viel Kraft und Energie – sei es bei besonders harten Trainingsblöcken oder eben zu Corona-Zeit. Ich habe durch den Sport schon so viele tolle Erfahrungen machen dürfen und diese positiven Erinnerungen überwiegen ganz klar.
Gerade die Olympia-Quali in Sevilla dieses Jahr hat mich in dem, was ich tue und wofür ich laufe, bestätigt und mir gezeigt, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist. Solche Erfolge und natürlich die Perspektive Olympia 2021 sind sehr wichtig und motivierend.
Mit Deiner Marathon-Zeit von 2:10:18h in Sevilla bist Du in ein neues Leistungslevel vorgestoßen. Was waren aus Deiner Sicht die Schlüsselfaktoren in den letzten Jahren für diesen Durchbruch?
Es ist eigentlich ein Puzzle von verschiedenen Einflussgrößen, dass sich mehr und mehr zusammengefügt hat:
Ein erster entscheidender Schritt war mein Vereins- und Trainerwechsel nach meinem Abi 2012 zum TV Wattenscheid und Tono Kirschbaum. Hier habe ich ein sehr professionelles sportliches Umfeld und mit Tono einen Trainer, der das Training mit einem beeindruckenden Erfahrungsschatz und gleichzeitig hoch individuell, nahbar und auf Augenhöhe gestaltet. Das ist eine sehr außergewöhnliche Trainer-Athleten-Beziehung und mit Sicherheit ein entscheidendes Puzzleteil.
Mit den Jahren ist mein Netzwerk hier in Wattenscheid und zu externen Spezialisten gewachsen: Meine Uni hat mir die Streckung meines Studiums ermöglicht, sodass ich vor allem in Richtung Olymia-Quali 2016 den Rücken frei hatte und mich auf den Sport konzentrieren konnte. Der Einsatz hat sich dann ja auch bei meinem Marathon-Debüt in Düsseldorf und Olympia-Quali total ausgezahlt.
Meine Fersenverletzungen und OPs in 2016 und 2018 waren natürlich ein herber Rückschlag für mich. Im Nachhinein bin ich für diese Umwege aber sehr dankbar, da ich erst durch die Verletzungen in Kontakt zur Reha-Klinik Herxheim und speziell zu Johannes Eisinger gekommen bin. Er ist mittlerweile ein wichtiger Ansprechpartner und enger Freund von mir und die Ausstattung in Herxheim habe ich nicht nur zur Reha genutzt, sondern bietet mir auch im vollen Training eine erstklassige Möglichkeit für Physio, Alternativtraining und Präventionsmaßnahmen.
Im Zuge der zweiten Fersen-OP 2018 kam der Kontakt zu meinem Einlagen- und Schuh-Spezialist Möller in Münster zustande: Er und sein Team haben sich unheimlich engagiert und gemeinsam haben wir sehr akribisch nach Ursachen am Schuh für meine Probleme gesucht und auch gefunden. Seit Ende 2019 habe ich zusätzlich noch einen Osteopathen, der meine Körperstatik und Laufstil ganzheitlich betrachtet und so vor allem möglichen Verletzungen präventiv entgegenwirken kann.
Ich habe also mittlerweile auch ein ganz starkes Netzwerk mit medizinischen Experten und Ansprechpartnern, die mich mit präventiven und akuten Maßnahmen und Erkenntnissen unterstützen und so letztendlich ein Training und Wettkampfleistung auf Top-Niveau überhaupt erst möglich machen.
Alle diese „Puzzleteile“ haben sich beim Sevilla-Marathon, wenn man so möchte, zu einem vollständigen Bild zusammengefügt. Das Rennen dort war für mich schon ein besonderes – natürlich, weil ich Olympia-Quali gelaufen bin, aber auch, weil es ein ziemlich perfektes Rennen war und sich eben auch so angefühlt hat. Immerhin habe ich das beim Köln-Marathon 2017 und 2019 auch schon anders erlebt.
Mit Sevilla 2020, Düsseldorf 2016 und Köln hast du schon einige für Dich bedeutende Wettkämpfe genannt. Welche Rennen sind Dir darüber hinaus in besonderer Erinnerung?
Aus meiner Jugendzeit war der Deutsche U23-Rekord im Halbmarathon eine Art Meilenstein. Den hatte ich mir als ein großes Ziel vorgenommen und konnte die Marke dann ja auch 2015 in Köln auf 1:03:40h verbessern. Mit dem Erfolg und meinem ersten Sieg bei einem „großen“ Lauf bin ich vor allem mit viel Selbstbewusstsein und dem Gefühl, mich mehr und mehr zu einem kompletten Athleten zu entwickeln, in die „Erwachsenenklasse“ gewechselt.
Düsseldorf mit meinem Marathon-Debüt und Olympianorm 2016 war definitiv ein Wendepunkt in meiner Karriere. Ich stand durch meine Leistung plötzlich auch medial viel mehr in der Öffentlichkeit, woran ich mich erst gewöhnen musste. Und dadurch haben sich neue Türen und Möglichkeiten eröffnet: Mein erster Ausrüstervertrag und unter anderem auch die Kooperation mit Klöckner.
Ein besonderes Erlebnis war sicher auch der Halbmarathon in Doha 2018. Dort habe ich den Leistungsnachweis für die EM 2018 erbracht, aber vor allem war das Rahmenprogramm sehr beeindruckend: Ich wurde offiziell vom Veranstalter eingeladen und in Qatar selbst gab es ein umfangreiches VIP- und Rahmenprogramm, was man als deutscher Läufer nicht gewohnt ist. Solche Erfahrungen und Eindrücke bleiben natürlich im Gedächtnis.
Hendrik, vielen Dank für die Einblicke, die Du uns in Deinen Alltag gegeben hast und für den gemeinsamen Rückblick auf besondere Momente Deiner Karriere. Hoffen wir, dass Du schon sehr bald wieder neue Ziele und Erfolgserlebnisse zu Deiner Laufbahn hinzufügen kannst und wir Dich dabei weiterhin begleiten können.
Hier geht’s zur Hendik Doku Teil 1: „Kampf um die Olympianorm“
Hier geht’s zur Hendrik-Doku Teil 2: „2 Mal Olympia-Quali und doch kein Olympia“
Hier geht’s zu Hendriks Blogbeitrag zum Sevilla-Marathon 2020