Es sind nur noch gut zwei Wochen bis zum Showdown der deutschen Marathonläufer in Düsseldorf und Hamburg. Die bis zu sieben Startplätze für die Heim-EM in Berlin sind heiß begehrt und der Kampf darum verspricht jede Menge Spannung. Fast alle Aspiranten haben in den letzten 14 Tagen ihre Form einem Wettkampftest unterzogen und bieten damit Raum für Spekulationen. Denn so viel sei vorweg gesagt, viel mehr als „wilde Spekulation“ kann auch meine fachliche Einschätzung nicht sein , da der Marathon immer wieder seine eigenen Geschichten schreibt. Große Namen wie Dieter Baumann oder Jan Fitschen haben sich sehr schwer mit ihrem Einstieg auf die 42km getan und der amtierende Halbmarathonweltrekordler Zersenay Tadese ist bis heute nicht über 2:10h hinausgekommen und damit im wahrsten Sinne des Wortes meilenweit von der Weltspitze entfernt. Auf der anderen Seite gelang Athleten wie Arne Gabius, Hendrik Pfeiffer oder Julian Flügel auf Anhieb das Debut.
Marathon laufen ist zwar in erster Linie Fleißarbeit, mit der jeder Läufer vergleichsweise simpel viel auf dieser Strecke erreichen kann, wenn es aber ans Eingemachte und absolute Ausloten der körperlichen Leistungsfähigkeit geht, spielen sicher auch das spezielle Talent für diese Strecke, sprich genetische Veranlagungen (Konstitution, Stoffwechsel uvm.), eine entscheidende Rolle, weshalb nicht jeder gute Halbmarathonläufer auch ein erfolgreicher Marathonläufer ist und die Strecke so unberechenbar bleibt.
Zur Erinnerung meine Liste der EM-Anwärter, auf deren Chancen ich im Folgenden näher eingehen werde.
- Philipp Baar 1992
- Marcin Blazinski 1988
- Tobias Blum 1995 – abgesagt
- Marcel Bräutigam 1987
- Thorben Dietz 1989
- Julian Flügel 1986 – abgesagt
- (Arne Gabius) 1981
- Timo Göhler 1991 – abgesagt
- Tom Gröschel 1991
- Nic Ihlow 1995
- Jonas Koller 1993
- Karsten Meier 1991
- Jens Nerkamp 1989
- Hendrik Pfeiffer 1993
- Philipp Pflieger 1987
- Tim Ramdane 1994
- Sebastian Reinwand 1987
- Frank Schauer 1989
- Paul Schmidt 1985
- Marcus Schöfisch 1987
- (Manuel Stöckert?) 1988 – kein Lebenszeichen
- Andreas Straßner 1979
- Steffen Uliczka 1984
Die Ausfälle. Julian Flügel und Tobias Blum haben bereits verletzungs-/krankheitsbedingt abgesagt. Marcin Blazinski ist zuletzt nicht mehr in Erscheinung getreten. Soweit ich gehört habe, kuriert er gerade eine Stressfraktur aus und ist damit raus aus dem Rennen. Von Manuel Stöckert hat man schon länger kein sportliches Lebenszeichen mehr vernommen, daher rechne ich auch nicht mehr mit ihm.
Arne Gabius ist klar die Nummer eins in Deutschland, hat jedoch bereits seinen Verzicht im Marathon zugunsten der 10.000m angekündigt. Wenn es dabei bleibt, hat außer ihm bisher nur Hendrik Pfeiffer die A-Norm (2:14:00h) unterboten und ist damit als Einziger sicher gesetzt. Die A-Norm möchte nach dem Desaster von Berlin nun auch Philipp Pflieger in Hamburg nachliefern. Wenn der Regensburger dieses Mal seine Kohlehydratversorgung besser im Griff hat und nicht wieder frühzeitig zu Boden geht, sollte er das relativ souverän abhaken können, zumal er mit 63:14min gerade erst eine neue Halbmarathonbestzeit aufgestellt hat.

Die fast sicher Qualifizierten. Die B-Norm (2:17:00h) haben Jonas Koller und Frank Schauer bereits seit Frankfurt letzten Herbst in der Tasche, letzterer hat mit einem eindrucksvollen solo 64:50min HM in Paderborn auch schon den dazu geforderten Leistungsnachweis erbracht. Frank Schauer sehe ich ohnehin als einen der aussichtsreichsten Kandidaten für Berlin, denn er wird trotz bereits formal erfüllter Nominierungskriterien in HH nochmals an den Start gehen, um seine Position zu festigen. Ich gehe davon aus, dass er seine 2:16:30h aus dem Herbst nochmal deutlich toppt. Jonas Koller muss hingegen nachsitzen, nachdem er zum Jahreswechsel mit Verletzungsproblemen zu kämpfen hatte und letzte Woche hitzegeplagt bei den deutschen Meisterschaften ausgestiegen ist, bleiben ihm noch fünf Wochen für den Leistungsnachweis (HM unter 67:00min), seine 2:16:00h werden meiner Ansicht nach dann für die Qualifikation ausreichend sein.
Die Debutanten. Sechs an der Zahl. Wie nah Karsten Meier, Jens Nerkamp und Philipp Baar beieinander liegen, hat man in Hannover gesehen. Ich tippe, dass sich einer von ihnen qualifizieren wird und schenke mein Vertrauen natürlich meinem Teamkollegen Philipp, in der Hoffnung, dass ihm die Zielgeraden nicht zu lang wird. Tom Gröschel hätte ich von allen Debutanten die größte Chance eingeräumt, 2:16h bzw. deutlich schneller zu laufen, doch er war leider wieder einmal verletzungsgeplagt und hat keine kontinuierliche Marathonvorbereitung mit hohen Umfängen bestritten. Tim Ramdane sehe ich noch nicht als Marathonläufer, zumal er auch mit ein paar „Wehwehchen“ zu kämpfen haben soll , weshalb hinter seinem Start ein großes „Fragenzeichen“ steht. Nic Ihlow kenne ich nicht und wir sind noch nie gegeneinander gerannt, deshalb kann ich mich zu ihm auch nicht eingehend äußern.

Die alten Männer. Hier tippe ich, dass sich zwei der sieben Kandidaten qualifizieren werden und da ich mich nicht an die Startlinie stellen müsste, wenn ich nicht an mich selbst glauben würde, bin darunter natürlich ich selbst. Zugegeben ist meine Statur nicht gerade ideal für den Marathon und ich hatte in der Vergangenheit immer frühzeitig im Rennen mit Wadenproblemen zu kämpfen, doch diese Baustelle scheint zumindest erledigt zu sein und ich bin sehr guter Dinge, dieses Mal ordentlich liefern zu können. Marcus Schöfisch hat, denke ich, nicht nur mich mit seiner Straßenlaufkarriere überrascht. Aufgrund seiner ersten beiden Marathons und perfekten Umsetzung der 10km/HM Bestzeiten im Marathon spreche ich auch ihm einen Startplatz zu, sofern es sieben werden, er soll schließlich bitte nicht mich rauskegeln 😉 . Marcel Bräutigam bringt schon reichlich Marathonerfahrung mit, nur der ganz große Lauf ist ihm trotz einer Bestzeit von 2:17:22h bisher noch nicht geglückt. Steffen Uliczka ist inzwischen berufstätig und kein Laufprofi mehr. Nachdem er schon als Profi mit den 42km zu kämpfen hatte, sehe ich ihn nur als Außenseiter, ganz außer Acht lassen sollten man ihn mit immerhin 2:15h Bestzeit dennoch nicht. Zu guter Letzt Thorben Dietz und „Old Strassi“ (Andreas Straßner ) beiden traue ich 2:18-17h zu, aber man weiß ja nie, ob der alte Mann die 4-Minuten-Regel wieder in Kraft setzt.
Der Nachzügler. Timo Göhler hatte ich eigentlich schon komplett abgeschrieben, nachdem er seit Jahresbeginn mehr Zeit krank oder verletzt als laufend verbracht hat und einige Pfunde zu viel vermelden ließ. Doch Totgesagte leben länger und so hat er sich in Hannover mit dem 8.Platz zurückgemeldet. Für den ganz großen Wurf wird die verbleibende Zeit bis Düsseldorf wohl nicht mehr ausreichend sein, aber Bestzeit (2:19:18h) ist allemal drin.
Die Unwägbarkeiten. Wie schon gesagt, ist eine Marathoneinschätzung immer spekulativ. Eine große Rolle wird sicher auch das Wetter spielen. Wird es heiß wie in Hannover? dann wird meiner Meinung nach kaum einer die 2:17h unterbieten können. Bläst in Hamburg wieder ein Hagelsturm? Oder gibt’s Weltrekordwetter wie in Berlin ? Wir werden´s sehen, am 29.04.2018 um 9:00Uhr heißt es „Auf die Plätze…“
Meine Top6(7):
Hendrik Pfeiffer
Philipp Pflieger
Frank Schauer
Philipp Baar
Jonas Koller
Sebastian Reinwand
Marcus Schöfisch
Liebe Sebastian,
herzlichen Dank für deine fachliche Einschätzung die ich sehr schätze. Du bist
eine Koryphäe. Ich wünschedir und deinem Team so wie allen Beteiligten alles erdenklich Gute
und bewundere eure Leistungen sehr.
Deine Auflistung ist spitze, Nic Ihlow hatte ich zum Bespiel selbst gar nicht
„auf dem Zettel“ Du hast allerdings 2 Kandidaten vergessen,
der 2. des Köln Marathons 2017 und 2:19 Marathonläufer Dominik Fabianowski und
was ist mit dem einstigen 2:15 Marathonläufer (er ist durch die Hilfe seines Vater immer noch Profi,
soweit ich weis) Stefan Koch. Er hat im März beim Lauf Rund ums Bayer Kreuz mit einer
hohen 29er Zeit eine Lebenszeichen gesendet.
Besonders gespannt bin ich auch auf Lehrer Thorben Dietz, der in Berlin 2017 bei seiner 2:19
die letzten 2 km in sagenhaften 3:10 Min./km rannte und mit 2:19 Stunden nah dran ist,
aber der Marathon ist so unwägbar, dass hat am Montag der Boston Marathon einmal
mehr gezeigt und hier drückte ich dem
von mir zu oft kritsierten Arne Gabius mein Mitgefühl und meine Bewunderug aus, ich wünsche ihm
das er im Sommer über 10 000m mit Ringer & Co. bei der EM ist und im Herbst eine 2:07:45 bis 2:09:30 auf
die Strasse zaubert. Das er mit 37 noch dabei ist, ist doch sensationell 🙂
Ich muss an dieser Stelle auch die vielen 2:15 bis 2:20 Marathonläufer des letzten 10 Jahre
denken, doe noch aktiv sind oder aus beruflichen, gesundheitlichen Gründen andere Wege gehen und
leider nicht in den Kampf um die EM-Tickets eingreifen obwohl sie noch im besten Leistungssportalter
sind (hier ein Lob an den oft kritisierten DLV,
die Norm ist relativ human im Vergleich zu der Marathon-EM Norm 2002 und 2006
Marathon-Olympianorm 2004 , damals
verlangte der DLV von Eich, Feigangan & Co. 2:11:30…aber andererseits auch härter als
die Norm der Schweizer 2014, dort reichten für Team 2:24:00 Stunden.
Die Liste der Ex-Asse ist lang:
Christian König, Markus WEiss-Latzko, Dennis Pyka, Alex Lubina, Sven Weyer, Tobias Sauter (rannte bei der
WM 2009, EM 2010 in Barcelona mit), Manuel Meyer, Matthias Graute,
Sören Kah, Robert Krebs usw…alles Männer die mit starken ZEiten auf sich aufmerksam
machten, aber dieses Niveau überhaupt mal zu erreichen, ist schon sensationell und herausragend.
Egal wie die Rennen ausgehen, dass Leben geht weiter und hier sind meine Gedanken auch
bei der Familie der viel zu früh und tragisch verstorbenen Leistungsläuferin und Spitzentriathletin
Julia Viellehner 🙁 oder Rene Herms…oder MEnschen die ein viel, viel härteres Leben zu meistern
haben. Für mich ist es sowieso erstaunlich das der berufstätige Strassner so brennt.
„old street fighter Strassi“. Geiler Typ !
Das die Athleten die es nicht schaffen enttäuscht und traurig sind ist klar, aber wer sein Bestes
gibt, muss sich keinen Vorwurf machen. Besser als meine Wenigkeit und Winzigkeit
sind sie alle sehr deutlich und willenstärker auch. Ich habe meine naiven
Träume längst aufgegeben und der Körper und Kopf will nicht so eine
Karriere wie Christian Kreienbühl (vom 2:48 Marathonläufer zum 2:13 Marathonmann) hergeben.
Gibt Schlimmeres.
p.S.: Ein starkes Marathondebüt vom hat damals auch die einstige
Marathon-Olympialäuferin (2008) Melanie Kraus mit 2:27 hingelegt, sie ging halbtags
arbeiten und hat Deutschland oft international vertreten und 2007 nach der
WEltmeisterschaftsteilnahme auch in Frankfurt gewonnen. Ihr letzter Norm Angriff
war im Frühjahr 2012. Ich hoffe es geht ihr gut.
Seb, dir und deiner Familie alles Gute und 1000 Dank an das Spitzen-Team von LaRaSch!
Ciao
Gregor
Was ist mit Dominik Notz ? Mit seiner sehr starken 64er Halbmarathonzeit ist
er vor wenigen Wochen in bestechender Form. Riskiert er es auch ? Fokussiert
er sich auf 10 000m (28:55 Norm) ? Ich weis es nicht.