Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Sorgen um niemand Geringeren als den Herbst. Irgendwie bin ich das ungute Gefühl nicht losgeworden, dass es in diesem Jahr besonders viele Leute darauf angelegt hatten, dass er am besten gar nicht erst stattfindet.
Tut er natürlich trotzdem, zumindest offiziell. In meinem Kalender steht jedenfalls schwarz auf weiß, dass er am 1. September beginnt und am 1. November endet.
Dass sich daran allerdings schon lange niemand mehr hält, ist wohl auch kein großes Geheimnis. Das Wetter ist da an vorderster Stelle mit dabei: Bis zuletzt hat uns die Sonne mit sommerlichen Temperaturen um die 30 Grad verwöhnt. An kühle Tage mit Regen und Wind war da nicht zu denken. Gestört hat das niemanden so wirklich. Freibad im September? Gibt Schlimmeres.
Gleichzeitig machen es die Supermärkte nicht besser: Überall empfangen uns beim Einkaufen mittlerweile Stände mit Lebkuchen, Spekulatius, Zimtsternen. Ganz klar: Die Weihnachtszeit steht vor der Tür. In meinem Kopf rieselt schon leise der Schnee.
Aber halt: Ein bisschen Platz muss noch bleiben für die wunderbare Jahreszeit zwischen Hitze und Kälte, zwischen Sonne und Schnee. Diese Jahreszeit, die gerade für alle Langstreckenläufer so wichtig ist!
Denn eines steht fest: Herbstzeit ist Marathonzeit. Und deshalb dürfen wir nicht einfach vom Sommer in den Winterschlaf übergehen!
Vielleicht hat man ja gerade in diesem Jahr ein besonderes Bedürfnis danach. Immerhin ticken die Uhren in Olympia-Jahren, wie 2016 eines war, immer ein bisschen anders. Irgendwie hatte man das Gefühl, dass uns die Athleten mit ihrer Katerstimmung nach der großen bunten Abschiedsfeier im Maracana-Stadion geradezu angesteckt hätten.
Die Wettkämpfe in Brasilien waren spannend und das nicht nur in der Leichtathletik, sondern sportartübergreifend in den vielen anderen Disziplinen. Aber danach waren alle irgendwie müde und kaputt, als hätten nicht nur die Rio-Athleten sondern auch ihre Zuschauer vor dem Fernseher Großes geleistet (ist aber wirklich nicht ganz ohne, bis nach Mitternacht wachzubleiben, um das 200m Freistil-Finale von Paul Biedermann live mitzuerleben…). Also erst mal Pause machen.
Eine, die trotzdem nicht an Ausruhen gedacht hat, ist Katharina Heinig. Selbstverständlich saß auch sie gefesselt vor dem Fernseher, als die deutschen Kanuten in kurzen Abständen zwei Goldmedaillen hintereinander gewannen. Sie bewunderte den Turner Andreas Toba, der nach seinem Sturz ein echtes Kämpferherz für die Mannschaft zeigte. Und sie jubelte ihrer Freundin und Trainingspartnerin Gesa Felicitas Krause zu, die bei ihrem Rennen über 3000m Hindernis zeigte, dass sie längst in der Weltspitze angekommen ist.
„Das sind alles Momente mit Emotionen, die einem Kraft geben, motivieren und zeigen, dass sich die Schufterei lohnt“, schildert Katha ihre Eindrücke von den Spielen in Brasilien.
Und deshalb lehnte sie sich nach Rio nicht einfach zurück und genoss die ersten Schokoladen-Lebkuchen des Jahres, sondern konzentrierte sich auf das, was für alle Marathonläufer und für sie nach dem lange Sommer eine ganz besondere Priorität hatte: Den Herbst.
Und das bedeutete in ihrem Fall ein knallhartes Programm. Höhentrainingslager in Davos, lange Dauerläufe in der Hitze, intensive Temposerien und natürlich auch die dazugehörigen Testwettkämpfe. Hier konnte sie jedoch schon beweisen: Katha ist verdammt fit! Die Top-Form für den Marathon muss nur noch abgerufen werden!
Und wem sollte man das mehr gönnen als ihr? Immerhin musste sie zu Beginn dieser Saison eine besonders harte Pille schlucken: Beim Zürich-Marathon im Frühjahr konnte sie nicht zeigen, was sie eigentlich draufhatte. Das Training lief gut und sogar die Rio-Norm schien in greifbarer Nähe.
Doch dann der Schock: Ein Unwetter am Tag des Rennens. Ein Sturz. Katharina am Boden. Der Traum von Olympia zerplatzt, ohne aus eigener Kraft noch etwas dagegen tun zu können.
Nach einer gewissen Zeit, die es nun mal dauert, solche Niederlagen zu verarbeiten, hat sie heute eine sehr reflektierte Sicht auf die Dinge: „Es geht weiter. Was soll ich tagelang rumheulen? Ich kann es nicht ändern. Aber ich habe eine wunderbare Familie und einen tollen Freundeskreis, die mich immer wieder aufbauen, mit mir mitfiebern, lachen und weinen, mich ablenken und zeigen, dass es sich immer lohnt, nach vorne zu schauen.“
Und das ist vermutlich die einzig richtige Strategie, um sich selbst aus einem solchen Tief wieder herauszuholen. Das Schöne dabei ist, dass Katharina trotz all der schwierigen Umstände ihre Freude am Laufen und ihre Fröhlichkeit nicht verloren hat – das zeigte sich schon im Sommer bei der Halbmarathon-Europameisterschaft in Amsterdam: Immer gut gelaunt, mit Hausschlappen auf dem Team-Foto, überall wo Katharina auftauchte, steckte sie mit ihrer guten Laune an.
Und obwohl ihr Rennen nicht genau so lief, wie sie es sich vorgestellt hatte, nahm sie im Ziel ihre Mannschaftskameradinnen in den Arm und bewies, dass es in einer Sportlerkarriere Höhen und Tiefen braucht, um damit umgehen zu können, dass nicht immer alles perfekt läuft: „Ich quäle mich für die Zufriedenheit nach einem Rennen. Ich will laufen, gegen andere starke Läuferinnen, und mich mit ihnen im Wettkampf messen, meine Grenzen verschieben! Aber zur sportlichen Leistung gehört mehr als nur gutes Training, Kampfgeist und Wille – es gehört auch das Quäntchen Glück dazu. Glück einen guten Tag zu erwischen, ein schnelles Rennen und gesund zu bleiben.“
Und diesem Tag X jagt Katharina natürlich noch immer hinterher. Aber vielleicht ist es nun ja bald so weit. Denn jetzt ist der Herbst gekommen. Die Zeit der Marathonis. Jetzt stehen die großen Läufe in Deutschland an. Köln, Frankfurt, München – ganz egal ob Nord oder Süd: Die ganze Bundesrepublik ist im Marathon-Fieber.
Den Anfang macht an diesem Sonntag aber niemand geringeres als die Hauptstadt: Morgen, am 25. September fällt in Berlin der Startschuss zum BMW-Marathon. Und wer wird mit an der Startlinie stehen? Richtig: Katharina Heinig!
Sie hat sich für einen Start in der Metropole entschieden, die für ein schnelles Pflaster und eine Top-Stimmung an der Strecke bekannt ist. Doch selbstverständlich locken auch andere Städte unzählige Läuferinnen und Läufern auf ihre Straßen:
Da gibt es die kleinen Veranstaltungen ohne große Namen, ohne exorbitante Preisgelder oder Prämien. Hier ist das Flair sehr persönlich, die Leute kommen vornehmlich aus der Region. Gut möglich, dass man den ein oder anderen Nachbar neben sich an der Startlinie trifft. Auch solche Rennen haben ihren ganz eigenen Zauber.
Dann gibt es solche Marathons, bei denen man das Gefühl bekommt, die Herausforderung besteht schon gar nicht mehr darin, „einfach nur“ 42,2km zu absolvieren. Stattdessen gilt es gleichzeitig auch noch einen Berg zu bezwingen oder die atemberaubende Landschaft zu genießen, wenn in Stralsund der Rügenbrücken-Marathon oder in Bregenz der Sparkassen-Marathon um den Bodensee in Angriff genommen werden.
Wer es lieber ein bisschen verrückt mag, kann sich auch für Events wie den Indoor-Marathon in Nürnberg oder den Zeittunnel-Marathon in Hildesheim anmelden, bei dem Bestzeiten garantiert sind: Während der Zeitumstellung verkürzt sich die Zielzeit um volle 60 Minuten – eine Leistungssteigerung, die durch Training wohl kaum möglich erscheint.
Am 30.10. findet die Marathon-Saison mit der deutschen Meisterschaft im Rahmen des mainova Frankfurt Marathons dann so langsam ihren Ausklang. Hier wird selbstverständlich nicht „nur“ um den nationalen Titel gekämpft – ein namhaftes internationales Feld hat auch hier eine lange Tradition. Spannung ist also in jedem Falle garantiert, sowohl bei den Zuschauern als auch bei den Startern.
Selbst der Marathon-erfahrenen Katharina Heinig ist vor ihrem Start in Berlin durchaus ein klein wenig Nervosität anzumerken, wenn sie gesteht: „Ich gehe mit Respekt in das Rennen. Ansonsten laufe ich einfach los und werde sehen, was rauskommt. Ich versuche mir keinen Druck zu machen, denn das Training läuft sehr gut“. Gleichzeitig soll ihr Herbst-Marathon auch eine entscheidende Rolle spielen, wenn es gilt, die bisher von Höhen und Tiefen geprägte Saison zu bewerten: „Für meinen Saisonrückblick wird das Rennen sicherlich ausschlaggebend sein!“
Bei der Pressekonferenz hält sie strahlend ihre Starnummer in die Kamera. Da ist es wieder, das ansteckende Katha-Grinsen! Vielleicht ist es ganz einfach ihr lebensfröhlicher Charakter, vielleicht aber auch eine kleine Vorahnung. Die Vorahnung, dem großen Ziel vom Marathon, bei dem endlich alles klappt, immer näher zu kommen.
Wir wünschen Katha, aber natürlich auch allen anderen Läuferinnen und Läufern, die in den folgenden Wochen an einem der vielen Marathons teilnehmen werden, viel Erfolg! Danke, dass ihr den Herbst zu einer der spannendsten Zeiten des Jahres macht!