„An Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit“ (Die Toten Hosen)
Als das bekannte Lied der Toten Hosen an jenem sonnigen Mai-Nachmittag aus den Lautsprechern des Autoradios tönt, dreht Steffi die Musik noch ein bisschen lauter und singt aus vollster Kehle mit. Selten erlebt man sie so ausgelassen, aber an „Tagen wie diesen“ hat sie allen Grund dazu: In einem beherzten Rennen hat sie bei der Deutschen Meisterschaft über 10 000 Meter mit persönlicher Bestleistung den vierten Platz belegt. Und das als Marathonläuferin.
„Ich bin normalerweise schon eher der zurückhaltende Typ“, gesteht Steffi Volke. Wer sie kennt, weiß, dass sie meistens ruhig und mit Bedacht an die Dinge herangeht. Sie wirkt stets gefasst, besonnen und professionell.
Dabei ist sie erst relativ spät zum Laufen gekommen: „Ich war früher eher eine Allround-Sportlerin. Tennis, Reiten, Triathlon – das hat mir alles großen Spaß gemacht. Als ich im Jahr 2000 auf Zypern in einem Laufcamp war, habe ich mehr durch Zufall an meinem ersten Halbmarathon teilgenommen.“ Die hübsche 24-Jährige sollte dort eigentlich vor allem als Fotomodel vor der Kamera stehen. Und kehrte dann mit einer Zeit von 1:32 h und einem phänomenalen zweiten Platz über die scheinbar unendlich lange 21-Kilometer-Distanz nach Hause zurück. „Ich habe damals ja nicht speziell Laufen trainiert. Dass mir danach die Idee kam, das Ganze zumindest mal auszuprobieren, ist natürlich klar“, erinnert sie sich.
Und bei einem Versuch sollte es nicht bleiben. Immer neue Fortschritte machte sie. Steffi wollte mehr. Nicht nur wegen ihres anhaltenden Erfolgs: „Da war einfach schon immer ein unglaubliches Feuer in mir. Die Liebe zum Laufen hat mir immer wieder bewiesen, was alles möglich ist.“ Denn tatsächlich sollte Steffi schon einige Jahre später Leistungen vollbringen, die an das scheinbar Unmögliche grenzen.
Doch zunächst machte sie sich auf die Suche nach einer Trainingsgruppe und schloss sich im Jahr 2008 der LG Telis Finanz an. Hier hatte sie mit Kurt Ring einen Trainer gefunden, unter dem sie erstmals planmäßig und strukturiert trainieren konnte und gleichzeitig ein starkes Team im Rücken hatte. Der Deutsche Mannschaftsmeistertitel im Jahr 2009 über die Halbmarathon-Distanz war für sie deshalb ein neues und daher ganz besonderes Erlebnis.
Mit ihrer Einzel-Karriere ging es währenddessen ebenfalls immer weiter steil bergauf. Spezialisieren wollte sie sich zwar noch nicht zu hundert Prozent, „aber im Marathon habe ich schon immer mein größtes Potenzial gesehen“, erklärt sie. „Ich wollte trotzdem weiterhin ein breites Spektrum an Distanzen absolvieren. Ich hatte immer viel Spaß daran, bei den kürzeren Distanzen wie 5000 oder auch einmal 3000 Meter noch so viel wie möglich an Schnelligkeit herauszuholen. Das sind immer kleine Erfolgserlebnisse gewesen, die man vielleicht beim Blick auf das große Ganze ein bisschen vergisst.“
Denn dabei stellen ihre großartigen Erfolge auf der Königsdistanz alles andere fast schon in den Schatten.
Schatten ist ein gutes Stichwort. Den sucht man am 22. Mai in Hamburg nahezu vergeblich. Die Deutschen Marathonmeisterschaften werden zur Hitzeschlacht für alle Teilnehmer. Reihenweise steigen die Favoriten aus. Nur Eine bleibt cool, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und spult ihr Programm unbeeindruckt herunter. Nach 2:51,18 h ist es vollbracht: Steffi Volke ist erstmals Deutsche Marathon-Meisterin. Ein Meilenstein in ihrer Laufkarriere. Überglücklich läuft sie ins Ziel und strahlt, obwohl der Körper an den Grenzen der eigenen Kräfte angekommen ist. Geduld und Willenskraft haben sich ausgezahlt.
„Ich habe mein Tempo den Temperaturen angepasst“, erklärt sie ihre damalige Renntaktik, „das war die einzig richtige Entscheidung. Natürlich kam da keine Bombenzeit raus, aber ich habe mich durchgekämpft. Es ist vielleicht diese sehr sehr große Willensausdauer, die mich ins Ziel gebracht hat, während andere nicht mehr weitermachen konnten.“
Dieser enorme Kampfgeist sollte schon bald noch ein weiteres Mal auf eine harte Probe gestellt werden: Bei den Titelkämpfen des folgenden Jahres in München geschah nämlich etwas Unvorstellbares. Auf Rang zwei liegend und bisher noch in guter Verfassung, knickte Steffi bei Kilometer 30 mitten auf dem Marienplatz vor den Augen der Zuschauer um und stürzte auf das Kopfsteinpflaster. Ein Außenbandriss im rechten Bein wie sich später herausstellen sollte.
Doch Steffi machte das Unmögliche möglich, stand wieder auf und lief die verbleibenden zwölf Kilometer trotz stärkster Schmerzen bis ins Ziel. Der Lohn hierfür waren ein dritter Platz in der Einzelwertung und ein erster Platz mit der Mannschaft der LG Telis Finanz.
An Siegerehrung war nun aber nicht mehr zu denken. Stattdessen ging es sofort in Richtung Krankenhaus. „Die Ärzte haben dort nur noch den Kopf geschüttelt. Eigentlich ist so etwas nicht machbar“, berichtet Steffi heute, selbst ein bisschen ungläubig, „ich war während des Rennens wie ferngesteuert, ich wollte nur noch weiter. Schon verrückt, was Hormone so bewirken können.“
Für Steffi standen kleine Verletzungen, Überlastungsschäden und Ausfälle „weil der Körper mal wieder ein Stoppsignal sendet“ immer mal wieder auf der Tagesordnung. Aber woher die scheinbar übernatürliche Kraft für derartige Leistungen kommt, ist ihr selbst fast schon ein bisschen unheimlich.
Und trotzdem machte Steffi darum kein großes Aufsehen. Sie ging unbeirrt ihren Weg, still und besonnen, so wie es schon immer ihre Art war. Sie machte ihre vielen kleinen Schritte zu den vielen kleinen und manchmal eben auch sehr großen Erfolgen. Mal waren es Rückschritte, dann folgten aber auch wieder deutliche Fortschritte. Ein Wechselbad der Gefühle. Immer wieder gab es Grund zur Freude, immer wieder musste sie ebenso lernen, zu akzeptieren, dass es trotzdem nicht geradewegs nach oben geht. Dass man Umwege nehmen muss. Dass man auf den Körper hören muss. Und dass man nur mit einem gewissen Maß an Geduld und Hartnäckigkeit seine Träume verwirklichen kann.
„Ich nehme da sehr viel aus meinem Beruf als Sporttherapeutin mit“, erklärt Steffi, „ich sehe einfach meine Patienten, die teilweise mit so viel drastischeren Problemen und Einschränkungen zu kämpfen haben als ich. Neulich hatte ich einen Patienten mit vier Prothesen – an beiden Armen und beiden Beinen. Da wird man daneben auf einmal ganz klein.“
Klein muss sie sich mit ihren Erfolgen wahrlich nicht machen. Im Gegenteil. Aber das ist ja nicht ihre Art. Steffi ist eher der ruhige Typ, still und bedacht. Außer manchmal eben. An „Tagen wie diesen“.
Dieser Text ist die erste Folge einer zweiteiligen Portrait-Serie. Folge zwei („Der größte Schritt einer stillen Karriere“) erscheint am kommenden Donnerstag an selber Stelle.
Toll der Bericht über Steffi.
Ich danke ihr, für die schönen Laufmomente, die ich als Moderator mit ihr erleben durfte.
steffi wird der „Läuferfamilie“ fehlen.
Aber ich werde am 4. Februar in Bad Füssing an Steffi als Läuferin erinnern.
Artur Schmidt