Das Männerrennen beim Valencia-Marathon dürfte qualitativ das am stärksten besetzte Straßen-Rennen in diesem besonderen Jahr 2020 sein: 9 Athleten haben mit Zeiten von unter 2:05 h gemeldet; weitere 42! Läufer weisen eine persönliche Bestzeit unter der Olympianorm von 2:11:30 h auf.
Die Entscheidung um die Podiumsplätze in Valencia liegt – wie bei den Frauen – voraussichtlich fest in afrikanischer Hand: Die Top 20 werden klar von den äthiopischen und kenianischen Eliteathleten dominiert; allen voran Birhanu Legese (2:02:48 h , Äthiopien). Aber Vorleistungen sind keinesfalls Sieggaranten – wie es das „Beispiel“ Eliud Kipchoge beim Elite-Rennen des London Marathons Anfang Oktober gezeigt hat.
Aber zu den deutschen Startern:
Insgesamt 4 DLV-Athleten peilen in Valencia das Ziel Olympianorm an: Richard Ringer (LC Rehlingen, Debütant), Philipp Pflieger (LT Haspa Marathon Hamburg, PB 2:12:50 h), Amanal Petros (TV Wattenscheid, PB 2:10:29 h), Tom Gröschel (TC Fiko Rostock, PB 2:13:49 h).
Die vom Veranstalter geschaffenen Voraussetzungen sind so optimal wie sie aktuell nur sein können; die Ausgangssituation der vier Läufer so divers wie vielversprechend:
Richard Ringer | Der Debütant mit großen Ambitionen
13:10,94 min (5.000 m), 27:36,52 min (10.000 m), 1:02:10 h (Halbmarathon), Olympia- & WM-Teilnehmer 2016 bzw. 2019.
Das sind die beeindruckenden Bestzeiten und Auswahl der Erfolge, die Richard Ringer (LC Rehlingen) als Mittel- und Langstreckler vorzuweisen hat. Nun will er auch in der „Königsdisziplin“, dem Marathon, den Durchbruch in die (erweiterte) Weltspitze schaffen. Eine Verletzung im Fußballen nach der WM in Doha 2019, die Absage einer Großzahl der Bahnrennen aufgrund der Corona-Pandemie 2020 sowie die Verschiebung der Olympischen Spiele ließen aus dem Gedankenspiel „Marathon“ für Richard nun Realität werden.
Eine erste Kostprobe sammelte der 31-Jährige beim Frankfurt-Marathon 2018, wo er Arne Gabius als Edelhase bis über die 30km-Marke hinaus die Pace machte; und zwar in beeindruckend lockerer Manier.
„Arne wollte mir die Straße ein bisschen schmackhafter machen und mir hat der Lauf total viel Spaß gemacht. Da stand eigentlich fest, dass ich mich (nach der Bahn) definitiv Richtung Marathon ausprobieren will. Und gleichzeitig wusste ich, das Ziel muss sein, direkt vorne reinzuspringen, also eine 2:10 h zu laufen; sonst kann ich ja auch auf der Bahn bleiben.“
(Richard Ringer im Auslaufen Podcast #132)
Die Trainingsvorbereitung für das Projekt 42,195 km vertraut Richard, der sich die letzten Jahre selbst trainiert hatte, dieses Jahr Wolfgang Heinig an, der unter anderem die Marathon-Gruppe um Katharina Steinruck (LG Eintracht Frankfurt) sowie Hindernis-Ass Gesa Krause (Silvesterlauf Trier) erfolgreich betreut.
Die neuen Trainingsreize scheinen sich auszuzahlen und machen Lust auf Richards Debüt in Valencia: Beim Invitational Run Dresden drückte der Überdinger im Halbmarathon gemeinsam mit Aaron Bienenfeld (SSC Hanau Rodenbach) konstant auf’s Tempo und gewann den Halbmarathon aus dem vollen Training heraus in 1:02:26 h.
Als Marathon-Neuling will Richard das Rennen in Valencia bewusst defensiv angehen. Vernünftig, schließlich schreibt jeder Marathon seine eigenen Gesetze. An einem echten „Sahnetag“ ist ihm (unserer Meinung nach) mit seinen Vorleistungen jedoch „nicht nur“ die Olympianorm, sondern auch der Deutsche Rekord (2:08:33, Arne Gabius 2015) zuzutrauen.
Philipp Pflieger | Der Erfahrene auf neuen Wegen
Der Regensburger hat eine persönliche Bestzeit von 2:12:50 h vorzuweisen und konnte sich 2016 in Rio den großen Traum vom Start beim Olympischen Marathon erfüllen. Dort lief Philipp unter tropischen Bedingungen als bester Deutscher in 2:18:56 h und Platz 55 ins Ziel. Nach 2016 folgte eine wahre Achterbahnfahrt in Sachen Marathon: Eine akribische viermonatige Vorbereitung in 2017 mit dem Ziel, die Marathonbestzeit in Richtung 2:11:30 h zu drücken, endete schlussendlich in einem Kreislauf-Kollaps und Zusammenbruch beim Berlin Marathon bei Kilometer 39. Beim Hamburg Marathon 2018 lief Philipp auf dem durchaus anspruchsvollen Kurs souverän in 2:13:39 h zur Heim-EM-Quali. Den EM-Marathon in der Hauptstadt brachte er nicht ins Ziel und auch 2019 war Berlin kein erfolgreiches Pflaster. Es folgten Vereinswechsel von der LG Telis Finanz Regensburg zum LT Haspa Marathon Hamburg.
Seit 2020 wird Philipp Pflieger von Trainer-Ass Renato Canova gecoacht und greift in seinem Podcast „Bestzeit“ unterhaltsam und fachkundig aktuelle Themen des Laufsports auf und lässt die Hörer auch an der ein oder anderen Anekdote seines aktuellen Trainings teilhaben.
Das „Coronajahr 2020“ nutzte Philipp, um neue Motivation zu tanken, um die neuen Trainingsmethoden und Reize unter Renato Canova zu adaptieren:
„Ich hatte auch eine Phase, in der ich 6 Wochen kaum trainiert habe. Das hat auch mal gut getan. Ab Juni habe ich dann die Zeit genutzt, mich und meinen Körper Schritt für Schritt an das neue Training zu gewöhnen. Die Schwerpunkte und Trainingsstruktur sind schon deutlich anders, wobei ich schnell festgestellt habe, dass mir dieser Wechsel sehr gut bekommt“
Diese Wahrnehmung drückte Philipp Pflieger auch in Resultaten aus: Nach starkem Beginn der Saison beim Halbmarathon in Barcelona (PB in 1:02:50 h) lief er Ende September aus der Marathonvorbereitung heraus eine neue 10km Bestzeit (28:49 min) beim 10k Invitational in Berlin.
„Ich fühle mich aktuell in einer guten Verfassung und gehe optimistisch in Valencia an den Start. Ich bin sehr dankbar, dass wir als Athleten die Chance auf so ein Rennen bekommen und ich traue mir zu, Olympianorm von 2:11:30 h anzugehen. Alles andere wird man sehen; auf 42 km kann sich vieles auch sehr „unplanmäßig“ entwickeln.
Einen kleinen Einblick in die letzten Kerneinheiten vor Valencia gibt Philipp auch in seinem YouTube-Kanal.
Amanal Petros | Der Normerfüller auf Erfolgssuche
Vor genau einem Jahr debütierte der Wattenscheider in der spanischen Metropole über die Marathondistanz und lief auf Anhieb zur Olympianorm in 2:10:29 h. Damit ist Amanal neben Vereinskollege Hendrik Pfeiffer (2:10:18 h) aktuell der zweite Qualifikant für den Olympischen Marathon 2021. Nach diesem Erfolg war die Coronakrise und folgende Verschiebung der Olympischen Spiele ein herber Schlag für den des 25-Jährigen, der erst im Mai wieder Motivation und Energie für ein strukturiertes Lauftraining fand. Noch mit Trainingsrückstand zeigte Amanal beim 5k Invitational am 12. Juli in Berlin mit 14:17 min sein Potenzial, aber noch kein ideales Rennen. Nach erfolgreichem Trainingslager in St. Moritz und gelungenem Test beim Halbmarathon-Einladungsrennen in Frankfurt (1:03:31 h), wollte Amanal die 62min-Marke bei der Halbmarathon-WM im polnischen Gydnia angreifen. Dies gelang ihm jedoch nicht: Kurz nach Rennbeginn war der nach Meldezeit am stärksten einzuschätzende DLV-Läufer in einen Sturz verwickelt, dessen Folgen ihm auf den noch gut 15 km Beschwerden verursachten und er letztlich weit unter seinen Möglichkeiten in 65:22 min ins Ziel kam.
Nun heißt es „Comeback stronger“: Aktuell feilt der gebürtige Äthiopier an seiner Wettkampfform im Höhentrainingslager in Kenia und wird erst unmittelbar vor dem 6. Dezember nach Spanien anreisen. Mit seinem Start beim Valencia-Marathon schließt sich für Amanal der Kreis eines außergewöhnlichen Jahres 2020; hoffentlich mit einem versöhnlichen und ähnlich positiven Ergebnis wie es ihm an Ort und Stelle im Dezember 2019 gelungen ist.
Tom Gröschel | Der Meister mit Potenzial
Tom Gröschel (TC Fiko Rostock) zweifacher Deutscher-Marathonmeister (2018 und 2019). Seine größten Erfolge waren bisher sicher der unerwartete Lauf zum Deutschen Meistertitel beim Düsseldorf Marathon 2018 (2:15:20h ) sowie sein 11. Platz bei der Heim EM als bester Deutscher Marathoni 2018 (2:15:48 h). Zu Beginn der Saison 2020 befand sich der Schützling von Tono Kirschbaum mit dessen Trainingsgruppe im Höhentrainingslager in Kenia, um die Olympiasaison 2020 final vorzubereiten. Abrupt von den ersten Lockdown-Maßnahmen überrumpelt, musste die Gruppe das Training abbrechen und nach Deutschland zurückkehren. Jedoch machte nicht „nur“ die Pandemie dem Wahl-Bochumer einen Strich durch die Saisonplanung: Schmerzen im Frühjahr stellten sich als Ermüdungsbruch im Becken heraus, sodass an ein strukturiertes Lauftraining für Tom zunächst nicht zu denken war und er seinen Fokus auf seine Arbeit bei der Landespolizei legte:
„Ich habe ein wenig Abstand zum ganzen Thema Laufen genommen und werde mich aktuell auf die Polizeiarbeit konzentrieren. Dort kann ich helfen und habe wieder eine Aufgabe. Das Trainieren für Wettkämpfe in ferner Zukunft ist absolut nicht mein Ding“ (Tom Gröschel ggü. leichtathletik.de).
Der Ermüdungsbruch ist ausgeheilt und seit August befindet sich Tom mit umfangreichem Alternativtraining und sukzessivem Aufbau wieder im Training auf ein konkretes Ziel in gar nicht allzuferner Zukunft: Sein Start im Elitefeld des Valencia-Marathons 2020.
„Es ist schon eine Auszeichnung für mich, allein dort an der Linie stehen zu können. Ich habe nichts zu verlieren! Ich möchte für mich ein gutes Rennen machen und schauen für was es am Ende dann reicht. Der erste Marathon auf so großer Bühne wird auch für mich ein neues Erlebnis!“
Potenzial hat der „Alternativ-Trainingsweltmeister“ allemal: Nur gut einen Monat nach Wiederaufnahme des Lauftrainings lief er beim Einladungs-Halbmarathon in Frankfurt (13. September) bereits wieder beachtliche 1:04:36 h. Und so liebäugelt Tom zurecht mit der Olympianorm:
„Ich denke ich werde mich in der Gruppe für die Olympianorm wiederfinden und versuchen so lang wie möglich drin zu bleiben. Die Geschwindigkeit ist ziemliches Neuland für mich und ich muss schauen, wie es sich anfühlt, wenn auch die erste Hälfte des Rennens auf Messers Schneide gerannt wird.“
Wir sind gespannt, was die 4 in wenigen Tagen in Valencia auf den Asphalt zaubern! Mit einem gemeinsamen Ziel, lassen sich die individuellen Stärken bündeln – auch wenn am Ende jeder sein eigenes Rennen laufen muss.
Wir werden über Social Media (@larasch.de) berichten!
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