Am gestrigen Tag endete der Qualifikationszeitraum für alle Marathonläufer mit Ambitionen für einen Start bei den Europameisterschaften in Berlin bzw. dem darin integrierten Europacup.
Maximal sechs Läufer und Läuferinnen können nun bei erfolgreicher Erfüllung der A- oder B-Norm (inklusive des in manchen Fällen nötigen Leistungsnachweises) nominiert werden. Kurz vor Beginn des Qualifikationszeitraumes wurden im vergangenen Herbst die Pflichtzeiten des DLV veröffentlicht und seitdem wurde unablässig diskutiert, wo, wann und von wie vielen die Normen wohl erzielt werden würden.
Wir von larasch.de sind damals auf den Zug aufgesprungen und haben uns ein kleines Stimmungsbild davon gemacht, was unsere Leser und Follower denken. Denn so viel steht fest: Unser Publikum kennt sich bestens in der Lauf- bzw. Marathonszene aus und kann sowohl die Fähigkeiten als auch das Potenzial der deutschen Athleten sehr gut einschätzen.
Über das Online-Portal UmfrageOnline.com sollten anonym insgesamt fünf Stimmen für die weiblichen und männlichen Favoriten abgegeben werden, die dann nach einem Monat in einem prozentualen Ranking ausgewertet und veröffentlicht wurden. Alle Stimmen, die nicht insgesamt fünf Namen auf dem Antwortbogen beinhalteten bzw. unrealistische (Fantasie)Namen aufzähten, haben wir nicht in unser Ranking einfließen lassen.
Bereits zur damaligen Zeit wurden schon viele Gespräche mit Bundestrainern und Athleten geführt, etliche Gerüchte kursierten, einige Starter kündigten Normversuche, teils sogar im Rahmen eines Debüts, an, andere schlossen einen Marathonstart von vorneherein aus. Es wurde hitzig diskutiert, gemutmaßt, fachsimpelt.
Von Beginn an schien es vor allem fraglich, ob die beiden unangefochtenen Marathon-Größen in Deutschland Fate Tola und Arne Gabius die 42,195 Kilometer am 12. August in Berlin überhaupt in Betracht ziehen. Beide müssen eine Familie mit Kindern ernähren und zeigten deswegen möglicherweise schon aus finanziellen Gründen kein Interesse am EM-Marathon.
Anders sah es da im Lager der jungen Wilden aus: Eine ganze Reihe von Athleten peilte ein Debüt für Herbst oder Frühjahr gezielt an oder startete einen mehr oder weniger „spontanen“ Marathon-Erstversuch. Unter ihnen nicht zuletzt international erfahrene Kandidaten wie Tobias Blum, Tim Ramdane Cherif, Jens Nerkamp, Laura Hottenrott oder Franzi Reng.
Wie es nun einmal in einer Marathon-Vorbereitung aber immer zu schwer vorhersehbaren Zwischenfällen kommen kann, mussten vielversprechende Favoriten auch schon vor dem Startschuss das Handtuch werfen: Tobias Blum erkrankte am Pfeifferischen Drüsenfieber, Tim Ramdane Cherif ruinierten hartnäckige Verletzungen eine zufriedenstellende Vorbereitung, Franzi Reng und Fabienne Amrhein litten im Winter bzw. Frühjahr wochenlang an einer Grippeerkrankung und Sabrina Mockenhaupt schloss nach langer Verletzungsphase einen Marathonstart von vorneherein aus.
Was ist also letzten Endes aus unserer alten Statistik geworden? Wie stark weicht sie vom aktuellen Stand der Dinge ab? Der Blick in die bei der Umfrage errechneten Top-10 der Larasch-Leser zeigt, wie schnell sich das Blatt wenden kann, wenn Körper, Kopf oder Karriere dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung machen:
Bei den Männern waren die größten Favoriten Philipp Pflieger, Hendrik Pfeiffer und Arne Gabius. Alle drei mit einem Stimmenanteil von etwas unter 20 Prozent. Hendrik Pfeiffer war schließlich als Erster des Trios sicher qualifiziert, Arne Gabius hatte zwar in Frankfurt die geforderte A-Norm unterboten, lieferte aber nach seinem Marathon-Aus in Boston keinen Leistungsnachweis. Zudem hatte er von Beginn an verlauten lassen, dass er beim EM-Marathon ohnehin nicht starten wolle. Spannend machte es Philipp Pflieger, der im Herbst das Rennen in Berlin kurz vor dem Ziel abbrechen musste. Am Ende bestätigte er in Hamburg jedoch mit sekundengenauer Maßarbeit auf A-Norm-Kurs, dass er nach wie vor fest zur Top-Spitze der deutschen Marathonis gehört.
Dahinter reihten sich bei unserer Abstimmung die Namen Flügel, Schöfisch, Ulizcka, Blazinski, Stützel, Baar und Bräutigam. Tatsächlich dabei ist nun lediglich Marcus Schöfisch. Die übrigen Qualifizierten Tom Gröschel, Jonas Koller und Sebastian Reinwand waren zwar ganz vereinzelt genannt worden – aber gerade der überraschende DM-Sieger Tom Gröschel kam bei unserer Umfrage auf gerade einmal eine einzige Stimme.
Das Ergebnis der weiblichen Marathon-Favoriten überraschte zunächst ein wenig, da Fate Tola erst auf Rang vier der Nennungen lag. Allerdings verteilten sich die Stimmen auf Anja Scherl, Katharina Heinig, Tola, Sabrina Mockenhaupt und Anna Hahner auch relativ gleichmäßig (zwischen 17% und 13%). Interessanterweise trauten deutlich weniger User Annas Schwester Lisa eine Teilnahme in Berlin zu (Rang fünf mit nur 9%).
Letzten Endes haben sich aus dieser Top5-Auswahl nur Anja Scherl und Katharina Heinig qualifiziert. Während Tola den Hannover Marathon frühzeitig beendete und danach dem DLV eine schriftliche Absage für den EM-Marathon erteilte, konzentrierte sich Sabrina Mockenhaupt nach ihrer Verletzung auf die 10 000m-Distanz (und hat dort die geforderte EM-Norm am vergangenen Wochenende erfüllt). Anna und Lisa Hahner ließen dagegen Anfang April eher mit Trennungsnachrichten im Sinne einer Neuausrichtung des Trainings aufhorchen als mit Laufresultaten oder zeitnahen Wettkampfplanungen. Auch die mit 7% noch häufig genannte Mona Stockhecke trat seit ihrem Ausstieg beim Frankfurt Marathon auf den Straßenlauf-Distanzen nicht mehr in Erscheinung.
Letzten Endes gelang es wohl recht unerwartet den drei Marathon-Neulingen Laura Hottenrott, Fabienne Amrhein und Franzi Reng, mit ihren ersten beiden bzw. in Rengs Fall mit ihrem ersten Rennen über die Königsdisziplin, den Startplatz in Berlin zu sichern. Damit hatten wohl auch die Larasch-Leser nicht gerechnet: Gerade einmal 2% hatten für Reng, 1% für Amrhein und noch wenigere Teilnehmer für Hottenrott abgestimmt.
Somit werden nun also wohl fünf Frauen und sechs Männer im deutschen Nationaltrikot den Europacup bzw. die Marathon-EM in Berlin bestreiten. Dass damit das Herren-Team bis auf den letzten Platz besetzt ist (und es mit Philipp Baar und Karsten Meier sogar noch potenzielle Nachrücker gäbe), während bei den Damen ein Platz offen bliebe, hätte wohl vermutlich vor wenigen Monaten niemand gedacht.
Insgesamt hatte das diesjährige Marathon-Aufgebot für Berlin in dieser Form im vergangenen Herbst wohl noch niemand auf der Rechnung. Doch gerade dieses Überraschungspotenzial macht es ja jedes Mal aufs Neue spannend – die nächste Umfrage kommt bestimmt!